Wie satt ich es habe, dass jedes Unkraut unter dem Schirm des vermeintlichen Pflanzenschutzes übermäßig behandelt wird. Ein Mittelchen hier, ein Giftchen hier. Alles natürlich nur, damit die Ernte marktfreundlich wächst. Meine Gedanken dazu kennt Ihr. Klar, Glyphosat ist ein Pflanzenschutzmittel, aber nicht jedes Pflanzenschutzmittel ist Glyphosat. Also, ist alles nur eine Hexenjagd? Wieso überhaupt muss Obst, Getreide oder Gemüse mit giftigen Chemikalien gespritzt werden – etwas Gesundes wird absichtlich ungesund gemacht.
Kürzlich wieder: Mit mehreren Menschen und Hunden machen wir eine der üblichen Gassirunden über die Wiesen und Äcker direkt am Fluss. Kaum waren wir auf der Strecke, warnte uns eine andere Gassigeherin: „Am Wochenende wurde mal wieder gespritzt. Lissy hat schon ganz rote Augen und Blasen am Bauch. Mir geht es auch nicht gut.“ Und prompt präsentierte sie ein Etikett, welches sie am Wegrand gefunden hatte. Darauf deutliche Worte: verursacht schwere Augenschäden, verursacht Hautreizungen, kann bei Verschlucken und Eindringen tödlich sein, kann Schläfrigkeit und Benommenheit verursachen. Überall wird auf die Hilfe eines Arztes hingewiesen. Fast unscheinbar steht auch „Giftig für Wasserorganismen“ darauf. Super Idee, einen Acker damit zu vergiften, der an drei Seiten vom Fluss umrandet wird.
Und während ich Google nach dem Mittelchen befragte, begegneten mir die deutlichen Worte eines gelernten Obstgärtners. Er betont, dass zwar Glyphosat im Fokus der Öffentlichkeit steht, aber es nur eine Schneeflocke auf dem Eisberg sei. Auch das gefundene Etikett hat nichts mit Glyphosat zu tun – es ist zusätzliches Gift. Nur eines von vielen.
Der namenlose Gärtner erzählt unverblümt, wie ein konventioneller Apfel übers Jahr gespritzt wird. Ich hab mal weiter recherchiert:
Januar: ist Spritzruhe, da die Bäume geschnitten werden
Februar: 2 Kupferspritzungen (mit Funguran(*1)), erste vorbeugende Unkrautspritzung (Kerb Flo, Stomp Aqua und Fusilade(*2))
März: 2x Kupferspritzungen
April: 1x Unkraut (Stomp und Glyphosat), 1-2 Spritzungen mit Schwefelkalk(*3), 2-3 Spritzungen gegen den Apfelstecher (ehemals Calypso (*4)), 1 Ausdünnungsspritzung (hohe Stickstoff-Konzentrationen werden direkt in die Blüte gespritzt)
Mai, je nach Wetter: 2x Spritzung mit Delan(*5), 2x Spritzung mit Score(*6) gegen Apfelschorf
Juni: 1x Unkraut (Glyphosat), 3-4 Spritzungen mit Delan, 3x Spritzungen mit Malvin(*7), 1-2 Spritzungen gegen Läuse und Milben mit Pirimor(*8)
Juli: 4x Delan, 2x Malvin, 1x Score, 1x Scala(*9), 1x Pirimor
August: 5-6x Delan, 1x Malvin, 1x Scala, 1x Glyphosat
September: 4x Delan, 1x Vision(*10), Ernte
Oktober: 1x Vision, 1x Glyphosat, 1x Kupfer
November: 1x Kupfer
Dezember:2x Kupfer, 1x Glyphosat oder Kerb, mit Stomp gegen Unkraut.
- (*1) Funguran ist ein Fungizid auf der Basis von Kupferhydroxid; auch im ökologischen Anbau erlaubt(*)
- (*2) alles Herbizide zur Bekämpfung von „Ungräsern“ und Vogelmiere
- (*3) Fungizid und Pestizid; auch im ökologischen Anbau erlaubt(*)
- (*4) Pestizid, seit 2015 verboten, Nachfolger gibt’s haufenweise.
- (*5) Fungizid
- (*6) Fungizid
- (*7) Fungizid
- (*8) Insektizid
- (*9) Fungizid
- (*10) Fungizid, Zulassung ist 2011 abgelaufen
(*) laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
„Das sind 46 Spritzungen im Jahr, wenn das Wetter mitspielt. Bei mehr Niederschlag verdoppelt sich fast die Anzahl der Spritzungen. Es gibt bei den Mitteln eine sogenannte Karenzzeit, d.h. die Zeit, in der sich das Mittel abgebaut haben sollte. Diese Zeit halten die Bauern auch ein, dies wird vom Verbraucheramt überwacht.“
Jedoch sind das Durchschnittszeiten, die der Hersteller festlegt. Je nach Wetter können Gifte also immernoch in starker Konzentration auf den Früchten vorhanden sein.
Vielleicht sollten wir auch hier anfangen, umzudenken. Als Verbraucher, aber auch als Bauer. Sollten wir nicht eher auf ungiftige Weise unsere Pflanzen stärken und schützen? Sollten wir nicht auch hier, wie so oft im Leben ein wenig Toleranz zeigen. Ich brauch einfach keine perfekt geformten, rotbäckigen, aber totgespritzten Äpfel, wenn ich dafür ECHTE Äpfel haben kann. Die dürfen Schorf haben, die dürfen unrund sein.
So schwer ist es doch gar nicht, sein eigenes Obst und Gemüse zu hinterfragen. Bio kaufen kann jeder, nur vielleicht sollte man eher auf den kleinen Biobauern zurückgreifen, als auf solche wo noch eine riesige Supermarktkette mitverdient. Und selber anzubauen funktioniert auch auf dem kleinsten Balkon oder sogar auf dem Fensterbrett. Ganz frei von Zusatzstoffen, Plastikverpackungen und auch ohne unnötige Transportwege. Und wenn es nur Kräuter oder Tomaten sind oder auch Sprossen.